Stehen Tradition und Brauchtum über dem Gesetz?

18.01.2023 Was ist eigentlich „Brauchtum“ und „Tradition“? Reicht das „Machtwort“ eines Oberbürgermeisters für Gesetzesübertretungen aus?

Diese Fragen habe ich mir gestellt, als unser Oberbürgermeister Herr Dr. Reck ein „Machtwort“ gesprochen hat und die Verbrennung von Weihnachtsbäumen genehmigte. Dabei geht es mir gar nicht so um das Verbrennen einiger Weihnachtsbäumen, sondern eher um die allgemeine Aussagekraft der Handlung des Oberbürgermeisters.

Dass das unnötige Verbrennen von Nadelbäumen ökologisch unsinnig ist, sollte außer Frage stehen. Dass aber ein Oberbürgermeister solche Veranstaltungen als „Brauchtum“ oder „Tradition“ deklariert, um damit gesetzliche Regelungen auszuhebeln, ist zu hinterfragen oder gar rechtlich zu prüfen. Reicht es in Dessau-Roßlau aus, wenn man sich vor einem vermeidlichen Gesetzesübertritt die Absolution des Oberbürgermeisters holt?

Liest man im Duden nach, bezeichnet die Tradition etwas, was im Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen, Kultur o.ä. in der Geschichte, von Generation zu Generation [innerhalb einer bestimmten Gruppe] entwickelt und weitergegeben wurde [und weiterhin Bestand hat]. Ferner ist Brauchtum als Gesamtheit der im Laufe der Zeit entstandenen und überlieferten Bräuche definiert. (siehe www.duden.de)

Nach diesen Definitionen gehört mehr zu einem Brauch oder einer Tradition als ein paar Jahre Bäume anzuzünden. Ist es eine Tradition, wenn am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg die Autos brennen? Ist es Tradition, wenn am 7. März Neonazis durch Dessau-Roßlau marschieren? Stellen Sie sich vor, der Bundesverkehrsminister würde Kraft seines Amtes das Rasen auf den Straßen als „Tradition“ deklarieren („haben wir doch immer so gemacht“) und damit Geschwindigkeitsreduzierungen auf Grund anderer Rechtsvorschriften wie z.B. Lärmschutz oder der Gefahrenabwehr z.B. an Kindergärten verhindern. Der berechtigte Aufschrei der breiten Bürgerschaft wären ihm gewiss.

Darüber hinaus muss man auch festhalten, dass der OB sein eigenes Umweltamt düpiert und geschädigt hat. Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Umweltamtes danken, deren Aufgabe es ist, die Umwelt und Natur zu schützen. Trotz der zu erwartenden Widerstände und Schwierigkeiten wurde ein umweltrechtlicher Missstand aufgezeigt und geeignete Maßnahmen eingeleitet.

Eine Frage zu den Weihnachtsbäumen bleibt aber noch offen: Wer hat eigentlich von behördlicher Seite das Einhalten von Auflagen, wie die Restfeuchte der Bäume kontrolliert und wirklich festgestellt, dass keine Dekorationsreste oder andere Stoffe mit verbrannt wurden? Ich hoffe, dass der Oberbürgermeister als höchster Verwaltungsbeamter (und damit auch höchster Umweltschützer) der Stadt Dessau-Roßlau die Rahmenbedingungen kontrollierte, die er entgegen seinen Fachämtern durchgesetzt hat.

Christoph Kaßner
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

Wir für Dessau-Roßlau